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Der Schädel |
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Der Schädel
(Eine Geschichte aus der Kindheit
von Josef Festing)
Als ich ein kleiner Junge war, hatten wir zu Hause ein sogenanntes Plumpsklo. Das ist laut Lexikon eine Toilette ohne Wasserspülung, bei der die Notdurft in eine Grube fällt (plumpst) und dort verbleibt, bis die Grube gefüllt ist und der Inhalt entsorgt wird. Dieses Plumpsklo befand sich an einem Anbau am Hintereingang unseres Hauses, direkt neben der Miste. Es bestand aus einem mit Holzbrettern abgedeckten Schacht, in dessen Mitte sich ein kreisrundes Loch befand, das mit einem Klodeckel versehen war. Daneben lag meistens ein Stapel aus klein gerissenem Zeitungspapier, das man zum "Abputzen" benutzte. Toilettenpapier gab es nicht, weil es zu teuer war. So ein Plumpsklo hatte den Vorteil, dass es keine Spülung hatte und deshalb auch kein Wasser verbrauchte. Noch besser war, dass man es nach der Benutzung nicht mit einer Bürste säubern musste, weil es keine Rückstände gab, zumindest nicht in Sichtweite! Dass es aus dem kreisrunden Loch immer ein wenig streng roch, war nicht so schlimm, aber an das Abputzen mit dem Zeitungspapier (manchmal lagen da auch Seiten aus einem Katalog, zum Glück kein Hochglanzpapier) musste man sich erst einmal gewöhnen. Wenn es auch keine sichtbaren Rückstände in der Toilette gab, woanders gab es sie schon! So weit so gut!
(Plumpsklo im Museumsdorf Hösseringen)
Mein Bruder Reinhard und ich waren als Kinder sehr kreativ und hatten immer gute Ideen. So auch an dem Tag, als wir beschlossen, ein eigenes Museum zu eröffnen und der ganzen Dorfgemeinschaft zugänglich zu machen; für einen geringfügigen Obolus, versteht sich. Wir dachten so an 10 Pfennig pro Person und Besuch. Der Verschlag hinter unserem Holzschuppen, der früher einmal als Entenstall gedient hatte, war genau richtig für unser Vorhaben. Wir verstauten den alten Krempel, den unsere Eltern darin aufbewahrten, im angrenzenden Holzschuppen und fegten den Boden. An den Wänden hingen aus früheren Tagen vereinzelt Regale, die wir auf Vordermann brachten. Nun fehlten nur noch die Exponate. Wir durchstreiften also gemeinsam mit unserem Freund Alfons die Gegend und hielten Ausschau nach Dingen, die wir in unserem Museum ausstellen konnten. Die Gegenstände durften nicht zu groß sein, sollten aber in besonderem Maße das Interesse der Dorfbewohner wecken, die, wie wir hofften, dann vor unserem Museum Schlange stehen würden. Wir hatten auf Kösters Dachboden ein altes Bajonett gefunden, das sich wunderbar für unsere Zwecke eignete. Leere Schneckenhäuser und Federn verschiedener Greifvögel fanden sich in unserem Museum ebenso wieder wie alte Briefmarken, getrocknete Insekten und leere Vogeleier. Aber das Prunkstück unseres Etablissements war der Kopf eines Rehbocks, den wir auf einem unserer zahlreichen Streifzüge durch die Wälder von Wörderfeld entdeckt hatten. Er stammte von einem verendeten Tier, dessen Kadaver wir zurückließen. Nur den Kopf mit dem daran befindlichen Gehörn nahmen wir mit und stellten ihn auf einem der Regale in unserem Museum zur Schau. Leider erfüllten sich unsere Hoffnungen nicht, was die Zahl der Besucher anbetraf. Lediglich unsere Schwester Birgit, deren Freundin Margret und Gisela, die Tochter des Gastwirtes, waren bereit, den Eintritt von 10 Pfennig zu bezahlen. Der Kopf des Rehbocks, die größte Attraktion unter unseren Ausstellungsstücken, war doch allein schon das Eintrittsgeld wert, wie wir meinten. Nach wenigen Tagen bemerkten wir, dass sich in unserem Museum ein äußerst unangenehmer Geruch ausbreitete, dessen Quelle wir schnell ausmachten. Es war der Schädel des Rehbocks! An ihm haftete, wie wir nach genauerer Untersuchung nun feststellten, noch eine ganze Menge fleischliches Gewebe, das zunehmend verweste und dem Museum den eigenartigen Geruch verlieh. Dieser war jedoch alles andere als geeignet, weitere Besucher anzulocken. Deshalb waren Reinhard und ich gezwungen, etwas zu unternehmen. Eine komplette Entsorgung unseres "Zugpferdes" kam jedoch keineswegs infrage. Wir versuchten daher, das Gehörn vom restlichen Schädel, dem der widerwärtige Geruch anhaftete, zu trennen, was sich als weniger schwierig erwies, als wir dachten. Allerdings machte uns der Gestank sehr zu schaffen und führte bei meinem Bruder und mir abwechselnd zu Würgereiz. Nach Beendigung dieses chirurgischen Eingriffs kam das Gehörn an seinen angestammten Platz zurück, und das Museum wurde kräftig durchgelüftet. Der Wiedereröffnung stand nun nichts mehr im Wege. Doch was sollten wir mit dem stinkenden Schädel machen? Wir wollten das eklige Ding so schnell wie möglich los werden. Und an dieser Stelle kam das Plumpsklo ins Spiel. Ich weiß nicht mehr, ob es Reinhards Idee war oder ob ich den glorreichen Einfall hatte. Wir übergaben die sterblichen Überreste des übel riechenden Objekts jedenfalls kurzerhand den Tiefen des Plumpsklos (ein weiterer Vorteil dieser vielseitig zu verwendenden Sanitäranlage!). Als geübte Messdiener murmelten wir noch ein paar Abschiedsworte, wie: "Asche zu Asche, Gestank zu Gestank. Ruhe in Frieden!" Dann machten wir den Klodeckel zu und die Sache war für uns erledigt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Auch das Museum geriet bei uns zunehmend in Vergessenheit, nachdem wir es wegen anhaltender Erfolglosigkeit schweren Herzens hatten schließen müssen. So verging Monat um Monat.
Wie nun allseits bekannt ist, sind mein Bruder und ich fast im selben Alter und mussten daher abends immer zur gleichen Zeit ins Bett. Das traf sich gut, denn der Weg zur Toilette gehörte in der Dunkelheit unter den oben beschriebenen Bedingungen nicht gerade zu unserer Lieblingsbeschäftigung, und zu zweit war dieser Gang aus naheliegenden Gründen leichter zu bewältigen.
Während der eine sein Geschäft erledigte, stand der andere sozusagen Schmiere bzw. gab Geleitschutz. So auch an jenem Abend, als ich vor dem Zubettgehen mal wieder auf dem Plumpsklo saß und Reinhard geduldig davor wartete. Ich dachte an nichts Böses, als dieser plötzlich einen fürchterlichen Schrei ausstieß und laut rief: "Der Schädel!" Im ersten Moment wusste ich überhaupt nicht, was los war. Sekundenbruchteile später begriff ich jedoch den Ernst der Lage. Das Grauen, es befand sich unter mir, direkt unter meinem nackten Hintern. Wie vom Donner gerührt (daher wohl auch der Begriff Donnerbalken), sprang ich auf und rannte mit herunter gelassener Hose durch den Stall ins Wohnzimmer. Meine Eltern schauten mich mit großen Augen an, während Reinhard, der mir gefolgt war, sich vor Lachen krümmte. Noch heute schießt mir gelegentlich der Gedanke an diesen vermaledeiten Schädel durch den Kopf, wenn ich auf der Toilette sitze. Damals konnte ich darüber nicht lachen, heute schon!
Dass diese Geschichte voll und ganz der Wahrheit entspricht, lässt sich nach nunmehr über 50 Jahren immer noch nachweisen, denn das Gehörn des Rehbocks hängt auch heute noch am Giebel des Hintereingangs unseres Elternhauses.
(geschrieben am 12.01.2017)
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