Gedichte und Geschichten von Josef Festing
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Die Runkelrübe

Die Runkelrübe
(von Josef Festing)

Wenn ich an meine Kindheit denke, überkommt mich auch heute noch ein Gefühl von Wärme und Vertrautheit, das ich am besten mit einer Passage aus einem Gedicht von Joseph von Eichendorff beschreiben kann. Sie lautet: „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus'“. Ein schönes Zuhause! Ja, das hatte ich, und ich bin meinen Eltern sehr dankbar dafür, dass sie mir eine Kindheit ermöglicht haben, die voller schöner Erinnerungen ist. Erinnerungen, die zu schade wären, wenn sie in Vergessenheit gerieten. So beginne ich nun damit, einige davon aufzuschreiben.

Wir lebten in einem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen, nahe der Grenze zu Niedersachsen, im sogenannten Lippischen Südosten. Das Dorf heißt Wörderfeld und war für mich damals der Mittelpunkt der Welt. Mein Vater arbeitete in einer Möbelfabrik, die 10 km von unserem Heimatdorf entfernt lag. Meine Mutter war Hausfrau und kümmerte sich tagsüber um den Haushalt, den angrenzenden Garten und die zwei Morgen Land, die wir auf dem Pottberg und dem Ottenberg besaßen. Ich hatte noch zwei Geschwister, meinen ein Jahr jüngeren Bruder Reinhard und meine sechs Jahre jüngere Schwester Birgit. Wenn wir auch nicht viel Geld besaßen und nie in Urlaub fahren konnten, so mangelte es uns dennoch an nichts. Wir hatten immer genug zu essen und eine warme Stube, die mit einem Kohleofen beheizt wurde. Aber das Wichtigste war, dass unsere Eltern uns liebten und wir uns immer gut verstanden, jedenfalls meistens.

Es gab Zeiten, in denen kaum ein Sonntag verging, an dem wir nicht Besuch von unseren Verwandten aus Bad Pyrmont erhielten. Erwähnenswert ist, dass es sich um ein sehr enges verwandtschaftliches Verhältnis handelte, denn Tante Maria war die Schwester meiner Mutter und ihr Mann Fritz der Bruder meines Vaters. Zu ihren beiden Töchtern Marita und Monika hatten wir Kinder daher eine besonders innige Beziehung. Wir freuten uns deshalb immer sehr, wenn der Wagen von Onkel Fritz sonntagnachmittags vor dem Haus hielt und unsere Cousinen aus dem Auto stiegen. „Die Pyrmonter sind da,“ riefen wir begeistert und wurden von Marita und Monika anschließend stürmisch umarmt. Beide kamen gern zu uns, denn auf dem Dorf gab es für Kinder doch eine ganze Menge mehr Spielmöglichkeiten als in einer Kleinstadt wie Bad Pyrmont. Nicht unwesentlich war auch der Umstand, dass wir im Gegensatz zu ihnen, die in einer Mietwohnung lebten, ein Haus mit einem großflächigen Rasen und einem ebenso großen Nutzgarten hatten. Wenngleich die beiden Mädchen schon etwas älter waren als meine Geschwister und ich, hatten wir doch ähnliche Interessen und verstanden uns bestens. Unsere jüngere Cousine Monika war sehr burschikos und schreckte auch nicht davor zurück, sich mit aufmüpfigen Nachbarjungen anzulegen. Wenn wir in der Woche 'mal Ärger mit jemandem von ihnen hatten, brauchten wir nur zu erwähnen, dass Monika am Sonntag käme und schon hatten wir Ruhe. Marita, die ältere von beiden, verfügte über sehr viel Fantasie und war Meisterin im Erzählen von Geschichten. So erinnere ich mich heute noch lebhaft daran, dass wir uns einmal auf dem Rasen zu dritt mit dem Rücken nach unten in eine alte Zinkwanne gelegt und die vorbeiziehenden Wolken am Himmel betrachtet haben. Marita versetzte uns mit ihren fantasievollen Beschreibungen der bizarren Wolkengebilde in eine Art Traumwelt und rief in uns schließlich die feste Überzeugung hervor, dass die Wanne sich langsam vom Boden heben und wir mit ihr davon schweben würden. Das war ein irres Erlebnis und fühlte sich absolut real an.

In den Sommermonaten hielten wir Kinder uns bei solchen Besuchen fast ausschließlich draußen auf und machten „die Gegend unsicher“. Während unsere Eltern am Kaffeetisch saßen oder einen Spaziergang durch das Dorf machten, fand man uns regelmäßig bei irgendwelchen Unternehmungen im Garten oder in der Nachbarschaft. Begehrte Aufenthaltsorte waren zudem die nahegelegenen Bauernhöfe mit den für Stadtkinder äußerst interessanten Stallungen, in denen sich zahlreiche Tiere wie Schweine, Kühe und Rinder befanden. Für uns Kinder vom Dorf war so ein Stall nichts Besonderes, weil sich uns ja ständig die Gelegenheit bot, z. B. beim Melken der Kühe und beim Füttern der Schweine zuzuschauen. Jeder von uns hatte sich auch selbst schon des Öfteren 'mal mit mehr oder weniger großem Erfolg im Melken geübt, sei es auf der Weide oder im Stall. Am allerschönsten fand ich es persönlich jedoch, die Schweine im Schweinestall zu beobachten, wenn sie sich nach der Fütterung eng nebeneinander auf das frische Stroh legten und ihren obligatorischen Verdauungsschlaf hielten. Es war dann immer ungewöhnlich ruhig im Stall und man hörte nur noch das gleichmäßige, tiefe Atmen der satt gefressenen Hausschweine. Dies löste in mir jedes Mal ein intensives Gefühl von innerer Ruhe und Zufriedenheit aus. Die schlafenden Borstentiere zuckten nur noch gelegentlich mit ihren Ohren und Schwänzen sowie zahlreichen unterschiedlichen Muskelsträngen, um die lästigen Fliegen zu verscheuchen, die sich hartnäckig in Scharen auf ihren mit Exkrementen verschmutzten
 Körpern niederließen. Man musste sehr leise sein, um die vor sich hin dösenden Schweine nicht aufzuwecken, denn sonst sprangen sie grunzend und quiekend auf, in der Annahme, es gäbe schon wieder Futter.


An einem Sonntagnachmittag, es muss Mitte der 1960er Jahre gewesen sein, kam Monika 'mal wieder auf die Idee, einem der beiden in der Nähe unseres Hauses gelegenen Bauernhöfe einen Besuch abzustatten. Wir waren zu fünft und machten uns zielstrebig auf den Weg zum Kuhstall, dessen Tür halb offen stand. Darin befanden sich etwa 10 Kühe, von denen wir zunächst nur die langschwänzigen Hinterteile wahrnahmen. Als wir näher traten, sahen wir, dass die mit riesigen Eutern behafteten Tiere frisches Heu fraßen, welches der Bauer ihnen offensichtlich kurz zuvor mit einer Heugabel in die Futterkrippe geworfen hatte. Die Euter waren prall gefüllt und es schien, als wäre die Schwerkraft im Laufe der Jahre nicht ganz spurlos an ihnen vorüber gegangen. Rechts neben dem Eingang stand abgesondert von den Milchkühen ein junger Bulle mit einem Nasenring, durch den ein dickes Seil führte, das mit mehreren Knoten an einer Metallstange befestigt war. Er wandte seinen breiten Kopf gemächlich in unsere Richtung und stierte uns mit bräunlichen Augen an. Monika schien sofort erkannt zu haben, dass sich das „Euter“ dieses Tieres erheblich von dem der anderen unterschied. Sie fragte neugierig: „Warum sind denn da keine Zitzen dran?“ Ich belehrte sie besserwisserisch, dass es sich hier um einen Bullen handele, den man nicht melken könne. Das Gehänge zwischen seinen Beinen sei so eine Art Runkelrübe, ergänzte ich. „Kann man das anfassen?“ wollte meine Cousine nun wissen. Ich nickte, und um ihr zu imponieren und meine Kenntnisse als echter Dorfjunge unter Beweis zu stellen, bewegte ich mich vorsichtig auf das Hinterteil des mich mit stoischem Blick musternden Wiederkäuers zu. Etwa einen Meter von ihm entfernt beugte ich mich nach vorn und griff mit der rechten Hand behutsam an seinen „Beutel“. Mich traf der Schlag, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes! Der Bulle hatte mir mit seinen Hinterläufen einen mächtigen Tritt versetzt und mich mit voller Wucht im Brustbereich getroffen, so dass ich in hohem Bogen mehrere Meter durch die Luft flog. Ich wusste nicht, wie mir geschehen war, als ich mich rücklings und wie benommen auf dem mit Stroh bedeckten Stallboden wiederfand. Mir war, abgesehen von dem gewaltigen Schreck, den ich erlitten hatte, jedoch nichts weiter passiert. Die anderen schienen zunächst genauso verblüfft zu sein wie ich, doch als sie merkten, dass ich trotz meiner beängstigenden Flugeinlage keine Verletzung davongetragen hatte, musste ich deren ungezügeltes und schallendes Gelächter kleinlaut über mich ergehen lassen. Merke: Das Begrapschen männlicher „Runkelrüben“ kann mitunter fatale Folgen haben und einen förmlich umhauen!

(geschrieben am 15.01.2019)


 
   
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