Gedichte und Geschichten von Josef Festing
Gedichte  
  Home
  Gästebuch
  Die Kastanie
  Rekordverdächtig
  Der Ohrenkneifer
  Vom Regen in die Traufe
  Ein Traum verleiht Flügel
  Das Eichhörnchen
  Die Hummel
  Innere Werte
  Mit etwas Glück
  Frühlingsgefühle
  Die Moritat von der Mücke
  Der Hase
  Die Zecke
  Die Blattlaus
  Echo
  Keine Panik
  Die Raupe
  Frommer Wunsch
  Eisfüße
  Der reinste Genuss
  Das Küken
  Schwer bekömmlich
  Der Specht
  Die Feldmaus
  Die Pointe
  Der Regenwurm
  Die Spinne
  Der Igel
  Die Fledermaus
  Der Kuckuck
  Froschperspektive
  Fehlgriff
  Der Infekt
  Die Kaulquappe
  Die Wühlmaus
  Der Maulwurf
  Grillen im Sommer
  Pilze
  "Fleder-Mauser"
  Körperflüssigkeiten
  Insektenflug
  Die Mausefalle
  Die Wespe
  Die Zwiebel
  Der Sonnenbrand
  Zum Geburtstag
  Die Tomate
  Wärme im Herzen
  Die Weihnachtsmaus
  Die Weihnachtsspinne
  Der Tannenbaum
  Fehlentscheidung
  Schleimer
  Schlechte Aussicht
  Wie das Leben so spielt
  Warten
  Hitze
  Essen mit Bedacht
  Tier-Rätsel
  Der kleine Bär
  Die Prüfung
  Die alte Linde
  Nicht vergebens
  Was bleibt
  Kraft für's Leben
  Hoffnung
  Am Ufer
  Lebensglück
  Tief verletzt
  Frühlingshauch
  Schauspiel des Frühlings
  Ode an den Frühling
  Mein Garten
  Die Runkelrübe
  Der Schädel
  Blutsbrüder
  Geglückte Bruchlandung
  Unser Freund Alfons
  Fliegende Hitze
  Hühner
  Taratatahiti
  Die Rache des Klettenhundes
  Erschütternde Erkenntnis
  Altersweisheit
  Daunen und Bambus
  Tschüss, kleine Hummel
  Die Maus Uschi und der Zauberring
  Nora und ihr Norkelchen (Teil 1 und Teil 2)
  Counter
Fliegende Hitze
Fliegende Hitze
(von Josef Festing)

Mein Vater hieß Josef und wurde von allen, die ihn kannten, Jupp genannt. Er war mit seinen 1,67 m ein relativ kleiner Mann. Dafür hatte er einen sehr muskulösen und durchtrainiert wirkenden Körper. Ein Grund dafür war vermutlich, dass er schon als junger Mensch seinen Eltern bei der täglichen Arbeit helfen musste und sein ganzes Leben lang körperliche Tätigkeiten verrichtete. Mit 17 Jahren wurde er eingezogen und an seinem 18. Geburtstag geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Drei Monate später kehrte er in sein Heimatdorf zurück und begann in einer Fabrik zu arbeiten. An eine Ausbildung war in den frühen Nachkriegsjahren kaum zu denken. In der Fabrik, die in einem ca. 3 Kilometer entfernten Nachbardorf lag, wurden Wäscheklammern hergestellt. Um dort hin zu gelangen, war er gezwungen, täglich querfeldein durch den Wald zu laufen, der sich über eine kleine Anhöhe erstreckte. Wenn er morgens spät dran war, rannte er oft den ganzen Weg, um nicht zu spät zur Arbeit zu erscheinen. Jahre später kaufte er sich ein Motorrad, mit dem er dann bei Wind und Wetter zur Arbeit fuhr. Mit 28 Jahren heiratete er meine Mutter und wurde innerhalb von sechs Jahren Vater von drei Kindern. In dieser Zeit wechselte er seinen Arbeitsplatz und war bis zu seinem Renteneintritt in einer Möbelfabrik tätig.

Mein Vater war überzeugt davon, dass er sich während seiner dreimonatigen Kriegsgefangenschaft, in der er, ebenso wie seine Kameraden, unter freiem Himmel in einem Lager leben musste, eine rheumatische Erkrankung zugezogen hat. Unter dieser litt er fortan besonders in den Wintermonaten und bei feuchtkaltem Wetter. Dann schmerzten ihn seine Schultergelenke sowie der Nackenbereich, so dass er sich oft eine Wärmflasche auf die betroffenen Körperpartien legte, um durch die Wärme Linderung zu erhalten. Er beschrieb den Schmerz oft damit, dass es sich so anfühle, als steche ihm jemand mit einem spitzen Messer in seine Gelenke und bohre darin herum. Als Kind machte mir die bildhafte Vorstellung dieser Schilderung ein wenig Angst und ich hatte Mitleid mit meinem Vater. Manchmal rieb er seine Schultern und den Nacken auch mit einer Salbe ein, die ihm ein Wärmegefühl vermittelte und ihm wohltat. Ich selbst habe die Rheumasalbe einmal an meinem Körper ausprobiert. Anfangs fühlte es sich ganz angenehm an, aber aus dem wärmenden Gefühl entwickelte sich rasch ein Brennen und Stechen, das kaum mehr auszuhalten war. Die Haut färbte sich rot und ich war bestrebt, die Salbe so schnell wie möglich mit Wasser und Seife wieder zu entfernen. Später fragte ich meinen Vater, wie er das bloß aushalten könne. Er antwortete nur, dass er dies in Anbetracht seiner rheumatischen Schmerzen kaum spüren würde und die Wärme ihm gut tue.

An dieser Stelle gilt es zu erwähnen, dass in unserem Dorf von Zeit zu Zeit zu unterschiedlichen Anlässen Feierlichkeiten stattfanden, die entweder in einem Festzelt oder im Saal der einzigen im Ort ansässigen Gastwirtschaft ausgerichtet wurden. Handelte es sich um ein Schützenfest, wurde zumeist ein Festzelt auf dem Sportplatz für die mehrtägige Veranstaltung aufgebaut, weil neben der Dorfgemeinschaft auch noch eine größere Anzahl von Personen aus den Nachbardörfern an den Festivitäten teilnahm und der Saal dafür nicht genügend Platz bot. Sängerkränzchen, Feuerwehrfeste und Hochzeiten wurden dagegen im Saal gefeiert. So muss es sich wohl um eine Feier letzterer Art gehandelt haben, denn ich erinnere mich an eine Begebenheit, die sich auf eben diesem Saal zugetragen hat und die bei mir auch heute noch ein Schmunzeln hervorruft, wenn ich daran denke.

Es war an einem frühen Samstagabend, als meine Eltern "gestiefelt und gespornt" das Haus verließen und sich zum Fest auf den nahegelegenen Saal begaben. Wir Kinder waren schon etwas älter und durften uns bis zu einer verabredeten Zeit auch dort aufhalten. Man hatte eine Drei-Mann-Kappelle engagiert, die ihr Equipment auf einer kleinen Empore aufgebaut hatte und sogleich zu spielen begann. Ihr Repertoire beschränkte sich auf meist ältere, aber auch einige aktuelle Schlager, und gelegentlich wurde ein langsamer Walzer eingeschoben. Man saß an länglichen Tischen und unterhielt sich bei Bier, Wein und Schnaps über allerlei Belanglosigkeiten. Es dauerte meist nicht lange, bis die ersten männlichen Dorfbewohner, oft durch den Alkoholgenuss enthemmt und vom Rhythmus der vertrauten Schlagermelodien animiert, den Mut fassten, eine Partnerin zum Tanz aufzufordern. Wenn man etwas auf sich hielt, so war es für einen männlichen Erwachsenen nahezu eine Pflicht, im Laufe des Abends mit jeder weiblichen Anwesenden mindestens einmal getanzt zu haben. Die Drei-Mann-Kapelle machte nach ca. fünf oder sechs musikalischen Beiträgen jeweils eine Viertelstunde Pause, in der man seine Partnerin entweder an der Theke oder am Tisch, zu dem man sie zurück begleitete, zu einem Getränk einlud. Und sollte man „versehentlich“ doch einmal jemanden aus der weiblichen Fraktion „übersehen“ und nicht zum Tanz aufgefordert haben, so gab es ja immer noch die Damenwahl, die von Zeit zu Zeit vom Sänger der Kapelle angekündigt und von den tanzwilligen Frauen lebhaft in Anspruch genommen wurde. Einer Dame einen Korb zu geben, war absolut verpönt, es sei denn, man hatte sich an dem Abend schon zu sehr dem Alkohol hingegeben oder irgendein körperliches Gebrechen, das einen daran hinderte, das Tanzbein zu schwingen.

Mein Vater tanzte gern und außergewöhnlich gut, so dass er beim weiblichen Geschlecht stets als begehrter Tanzpartner galt, der einer Damenwahl so gut wie nie entging. Und wenn er so richtig in Schwung war, tat ihm auch nichts mehr weh und sein Rheuma war wie weggeblasen. Wie üblich hatte er sich auch diesmal zu Hause vorsichtshalber mit Rheumasalbe eingeschmiert, um einen unbeschwerten Abend genießen zu können. Die Frauen, mit denen mein Vater tanzte, waren meistens einen Kopf größer als er, aber dieses Manko glich er durch seinen exzellenten Tanzstil und seine schwungvollen Bewegungen mehr als aus. Es war 'mal wieder Damenwahl und ich beobachtete, wie eine mir unbekannte etwa 45-jährige Frau geradewegs auf meinen Vater zusteuerte und ihn freundlich aufforderte. Er schien sie zu kennen und begleitete sie lachend auf die Tanzfläche. Die Frau war ebenso groß wie mein Vater, hatte jedoch, im Gegensatz zu ihm, ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen. Ihren unteren Rücken betrachtend, kam mir unweigerlich der Gedanke an den französischen Schriftsteller Honoré de Balzac, der in einem seiner Romane einmal das weibliche Gesäß als "jene üppige Fleischlichkeit, als welche durch die Wirbelsäule so kokett in zwei Hälften geteilt ist", äußerst treffend beschrieben hat. Die Kapelle begann zu spielen und mein Vater bewegte die etwas füllige Dame leichtfüßig und mit grazilen Schritten zu Musiktiteln wie „Schöne Maid, ......“ und „Rosamunde, ….“. Als schließlich ein langsamer Walzer folgte, wirkte die Mittvierzigerin wie erleichtert, denn das Tempo, das mein Vater an den Tag gelegt hatte, schien sie ein wenig überfordert zu haben. Ihr Kopf war knallerot und Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, aus denen sich nach und nach kleine Tropfen bildeten, die nun an ihren Schläfen herunter rannen. Sie nutzte den langsamen Tanz offensichtlich zur Erholung, in dem sie sich an meinen Vater klammerte und ihren Kopf leicht auf seine Schulter legte. Doch dann ging die wilde Fahrt von Neuem los und mein Vater war in seinem Element, als nun „Rivers of Babylon“ von Boney M. gespielt wurde. Die Frau war vollkommen aus der Puste, als die Kapelle nach zwei weiteren Musikeinlagen endlich eine Pause einlegte. Ich sah, wie mein Vater sie zur Theke begleitete und ihr ein großes Glas Wasser spendierte, das sie mit hastigen Zügen leerte. Er selbst trank ein Bier. Beide sprachen angeregt miteinander, und ich nahm wahr, wie die erschöpft wirkende Frau mehrfach ihren hochroten Kopf schüttelte und meinen Vater fragend anschaute. Dieser hob nur seine Schultern und machte einen ratlosen Eindruck.

Am nächsten Morgen, es war Sonntag, sprach ich meinen Vater beim Frühstück auf die fremde Frau an, mit der er am Abend zuvor so ausgelassen getanzt hatte. Ich fragte ihn, warum sie denn so übermäßig geschwitzt und was sie ihm an der Theke Interessantes erzählt habe. Ein verschmitztes Lächeln trat augenblicklich auf seine Lippen und er wiederholte die Worte, die seine Tanzpartnerin an ihn gerichtet hatte: „Jupp, ich weiß gar nicht was mit mir los ist. Mir ist so heiß und meine linke Wange brennt wie Feuer. Komisch, nur die linke Seite!“ Ich schaute ihn ungläubig an und er ergänzte schelmisch: „Ich habe ihr nichts von der Rheumasalbe erzählt und nur gemeint: „Vielleicht fliegende Hitze?!“ Die ganze Familie brach sogleich in schallendes Gelächter aus. Gut möglich, dass die mich seinerzeit an eine Rotwangenschildkröte erinnernde Frau sich auch heute noch fragt, was für ein merkwürdiges Feuer der heißblütige Tänzer Jupp an jenem Abend wohl in ihr entfacht haben mag.
 
(geschrieben am 10.01.2019 frei nach einer wahren Begebenheit)

 
Wissen.de
"Fliegende Hitze, Hitzewallung, plötzliches Hitzegefühl des Kopfs oder Körpers ohne Erhöhung der Körpertemperatur, oft begleitet von Schweißausbruch und Hautrötung. Wallungen kommen typischerweise während der Wechseljahre vor und haben keinen Krankheitswert."







 
   
Insgesamt waren schon 90647 Besucher (182666 Hits) auf dieser homepage!
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden