Tschüss, kleine Hummel und guten Flug
Vor vielen Jahren machte sich einmal ein Volk von Erdhummeln auf die Suche nach einem neuen Zuhause, weil sein Erdloch, in dem es schon seit langer Zeit lebte, nach einem kräftigen Wolkenbruch voll Wasser gelaufen war. Zum Glück war keine der Hummeln in dem urplötzlich aufgetretenen Hochwasser ertrunken, doch sämtliche Vorräte waren dem Unwetter zum Opfer gefallen. So schickte die besorgte Hummelkönigin all ihre Kundschafter aus, um erst einmal einen neuen Unterschlupf zu suchen, bevor mit dem Sammeln von Nahrungsmitteln begonnen werden konnte. In alle Himmelsrichtungen schwirrten sie alsbald davon.
Nach einer Weile kamen die ersten zurück und berichteten der Königin, was sie gesehen hatten. Aber die schüttelte immer nur mit dem Kopf, was hieß, dass die bisher entdeckten Behausungen für ihr Volk nicht in Frage kamen. Am späten Nachmittag waren, bis auf eine, alle ausgesandten Kundschafterhummeln zurückgekehrt, doch eine geeignete Erdhöhle hatten sie nicht gefunden. Eine Stunde vor Sonnenuntergang kam schließlich die letzte Hummel zurück. Sie musste weit umhergeflogen sein, denn an ihren Fühlern befanden sich kleine Schweißperlen, die in der untergehenden Sonne in rötlichen Farben glitzerten. Das erschöpfte Insekt war nur eine Flügelbreite vor der Königin gelandet, die die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, die Nacht in einer sicheren Höhle verbringen zu können. Als sie die Nachricht des Nachzüglers vernahm, zögerte sie keinen Moment und befahl ihrem Volk den sofortigen Aufbruch. Die eben erst eingetroffene Hummel hatte sich von der Anstrengung des langen Fluges noch nicht ganz erholt, schon musste sie auf Geheiß der Königin wieder losfliegen, um den anderen den Weg zu zeigen.
Noch bevor die Sonne unterging, erreichte das Hummelvolk ihr Ziel und landete auf einer großen mit gelbem Löwenzahn übersäten Wiese. Inmitten dieses Blütenmeers hatte sich ein alter Bauer ins hohe Gras gelegt, um von der harten Arbeit des Tages in der Abendsonne ein wenig auszuruhen. Er war dabei eingenickt und schnarchte nun so laut, dass die in der Nähe stehenden Grashalme erzitterten. Seinen Mund hatte er weit geöffnet. Die herbeifliegenden Hummeln hatten keine Mühe, eine nach der anderen in den dunklen Schlund hineinzukrabbeln. Ihr Weg führte sie zunächst durch die Speiseröhre in den Magen. Von dort aus bahnten sie sich an einer engen Stelle am Magenausgang vorbei mühsam einen Weg in den Dickdarm. Dort gefiel es ihnen recht gut; es war warm und gemütlich, wenn auch ein bisschen eng. Sie richteten es sich wohnlich ein und begannen, vor Behaglichkeit leise zu summen. Die Königin war zufrieden, denn für eine Übergangszeit war ihr jetziges Quartier durchaus passabel. Jedenfalls waren sie erst einmal in Sicherheit.
Der Bauer war inzwischen aufgewacht und verspürte nun ein merkwürdiges Gefühl in seinem Bauch. Er dachte sich zunächst nichts dabei und fuhr mit seinem Traktor nach Hause, wo er von seiner molligen Frau bereits zum Abendbrot erwartet wurde. In der folgenden Nacht musste der Bauer mehrfach aufstehen, weil das Gefühl in seinem Bauch immer stärker wurde und es langsam zu schmerzen begann.
Die Hummeln waren die Nacht über sehr emsig gewesen und hatten die nähere Umgebung innerhalb des Bauches erkundet. Eine besonders mutige Hummel hatte sich sogar schon bis in den Dünndarm vorgewagt und der Königin anschließend Bericht erstattet. Da die Königin ihre jetzige Unterkunft ohnehin nur als Übergangslösung betrachtete, schickte sie ihre Kundschafter erneut aus, um eine geräumigere Behausung zu suchen. Diese brachen sogleich auf und krabbelten mit kraftvollen Bewegungen durch den schmalen Dünndarm. Schließlich erreichten sie den Ausgang. Auf den ersten Blick schien es aussichtslos, durch das enge Loch hinausschlüpfen zu können. Mehrere Versuche und eine gehörige Portion Anstrengung waren nötig, bevor die erste Hummel mit lautem Gebrumme wieder in die Freiheit gelangte.
Der Bauer saß kerzengerade im Bett, weil er durch das laute Geräusch hochgeschreckt war. Seine neben ihm liegende Frau blickte ihn verschlafen und verständnislos mit dem Kopf schüttelnd an. Das besondere Erlebnis einer startenden Bläh-Hummel sollte der Bauer in den nächsten Stunden noch öfters haben, und er wunderte sich jedes Mal, dass ihm etwas aus der Hose flog.
Das Volk der Bläh-Hummeln hat bis heute keine geeignete Erdhöhle gefunden, und um nicht zu erfrieren und vor Gefahren sicher zu sein, sucht es sich immer wieder ein neues Übergangsquartier in einem menschlichen Körper. Du musst also gut aufpassen, dass du deinen Mund nicht zu lange offen lässt, sonst schlüpfen die Bläh-Hummeln womöglich auch einmal in dich hinein. Und sollte es aus Versehen doch einmal passieren, laß’ sie bitte wieder fliegen mit den Worten: Tschüß, kleine Hummel und guten Flug!
Diese Kurzgeschichte wurde geschrieben von Josef Festing am 22.11.99 während eines Krankenhausaufenthaltes, angeregt durch starke Blähungen und durch einen Ausspruch seiner Tochter Nora vom 14.06.98: „Papa, ich habe solche Bauchschmerzen, ich glaube, ich habe Bläh-Hummeln!“
Illustrationen: Josef Festing, Reinhard Festing, Nora Festing, Rebekka Festing