Gedichte und Geschichten von Josef Festing
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Unser Freund Alfons
Unser Freund Alfons
(von Josef Festing)

Alfons war der zweitgeborene Sohn einer der angesehensten Bauernfamilien im Dorf. Diese besaß neben großflächigen Wiesen und Feldern, auf denen Getreide, Rüben und Kartoffeln angebaut wurden, auch ein kleines Stück Wald. Auf dem Hof gab es eine erkleckliche Anzahl von Kühen, Schweinen, Pferden, Hühnern und noch allerlei anderes Kleinvieh. Das Wohnhaus mit den angrenzenden Ställen wie auch die Scheune befanden sich in gutem Zustand. Auch die landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte waren gepflegt und besaßen einigen Wert. Kurzum, Alfons konnte sich als wohlhabender Bauernsohn fühlen, wenngleich er nicht der zukünftige Hoferbe sein würde. Dies war Willi, seinem älteren Bruder, zugedacht. Wie man sich unschwer vorstellen kann, gab es auf dem Bauernhof stets eine Menge Arbeit, an der sich auch die Kinder bereits in jungen Jahren beteiligen mussten, sei es bei der Ernte oder beim Füttern der Tiere. Alfons wurden nach der Schule daher häufig derartige Aufgaben übertragen, deren Erledigung die Voraussetzung dafür war, dass er anschließend seine Freizeit genießen durfte, die er dann meistens mit meinem Bruder Reinhard und mir verbrachte. Unser Haus lag direkt neben dem Bauernhof, so dass er es nicht weit hatte, wenn er uns nach getaner Arbeit aufsuchen wollte. Oft warteten wir schon ungeduldig auf ihn, denn im Gegensatz zu Alfons hielten sich unsere häuslichen Pflichten eher in Grenzen. Ein Einkauf im nahe gelegenen Kaufmannsladen oder ein paar Scheite Feuerholz aus dem Schuppen holen waren in der Regel die einzigen Tätigkeiten, die unsere Eltern von uns verlangten. Ihnen schien es offensichtlich auszureichen, wenn wir unsere Schulaufgaben ordentlich und gewissenhaft erledigten. Dass unsere Familie keinen Bauernhof besaß, betrachteten wir daher als glücklichen Umstand, denn wir konnten ja die Vorzüge eines Bauernhofes in unmittelbarer Nachbarschaft beim Spielen in der Scheune oder im Stall jederzeit genießen, mussten aber nicht wie Alfons die damit verbundenen bäuerlichen Pflichten übernehmen.

Alfons war unser bester Freund, nicht nur weil er, im Gegensatz zu Reinhard und mir, über eine Menge Kraft verfügte und uns deshalb aus so manchen Gefahrensituationen befreien konnte, sondern weil er sehr gutmütig war und ein weiches Herz hatte. Was er besaß, teilte er mit uns, und wir konnten uns stets auf ihn verlassen. Es gab selten Streit mit ihm, von kleineren Meinungsverschiedenheiten einmal abgesehen. Da wir damals kaum Taschengeld bekamen, war es schon etwas Besonderes, wenn wir uns sonntags mal ein Eis kaufen konnten. Es langte für meinen Bruder und mich meist nur für ein kleines Milcheis im Wert von zwanzig Pfennig. Alfons konnte sich dagegen schon mal ein Capri-Eis leisten, ein Wassereis, das 10 Pfennig mehr kostete und einen intensiven Apfelsinengeschmack hatte. Er ließ uns dann immer ein Stück davon abbeißen. Ich versprach ihm damals, dass ich es ihm hundertfach zurückzahlen würde, wenn ich später einmal zu Geld käme.




Eines Tages zog Alfons drei Stangen Storck aus der Tasche. Das waren quadratische nach Karamell, Schoko oder Nuss schmeckende Kaubonbons, die jeweils einzeln in Papier verpackt und aneinander gereiht zu einer Art Stange zusammengefügt waren. Eine Stange Storck zählte zu unseren Lieblingssüßigkeiten und kostete einen Groschen. Alfons schenkte Reinhard und mir in seiner großzügigen Art nun jeweils eine Stange und verriet uns, dass er das Geld dafür mit einem Küchenmesser aus dem Schlitz seiner Spardose herausgefischt hätte. Er habe dafür eine ganze Weile gebraucht, wie er sagte. Wir ließen uns die begehrten Bonbons genüsslich schmecken und bedankten uns ausgiebig bei unserem Wohltäter. Nun muss man erwähnen, dass Alfons einen äußerst strengen Vater hatte, vor dem auch wir beiden Brüder einen gehörigen Respekt hatten. Er hieß Wilhelm und wurde von uns manchmal, wenn Alfons nicht dabei war, „der alte Wilm“ genannt. Auf irgendeine Weise musste der alte Wilm nun erfahren haben, dass sein Sohn die Spardose ohne seine väterliche Erlaubnis heimlich um einen gewissen Betrag erleichtert hatte, was seiner gestrengen Auffassung nach einer umgehenden Bestrafung bedurfte. Reinhard und ich saßen damals nichtsahnend auf der Mauer unseres Vorgartens, als Alfons, der sich offenbar auf dem Weg zur Scheune befand, mit hängenden Schultern an uns vorbei kam und unter Tränen schluchzte: „Ich muss ein Seil holen!“ Wir waren schockiert und ahnten sofort, welchen Zweck das Seil, mit dessen Besorgung er beauftragt war, erfüllen sollte und glaubten auch, den Grund dafür zu kennen.




Ich spürte sogleich einen massiven Kloß im Hals und ich glaube, Reinhard ging es ebenso. Es war, als hätten sich die noch in meinem Magen befindlichen Kaubonbons zu einem einzigen Klumpen zusammengefügt und wären in die Speiseröhre zurück gewandert, nicht ohne dabei einen bitteren Nachgeschmack zu hinterlassen. Wir hatten ein überaus schlechtes Gewissen und fühlten uns erbärmlich. Mit jedem Meter, den sich unser bedauernswerter Freund der Scheune und damit dem Ort seiner bevorstehenden Züchtigung näherte, wuchs unser Mitleid mit ihm. Ob wir anschließend sein klägliches Wimmern durch das geschlossene Scheunentor, immer noch wie angewurzelt auf unserer Mauer sitzend, wirklich hören konnten oder wir uns dies nur einbildeten, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls betrachteten wir Alfons in der Folgezeit als wahrhaftigen Märtyrer. Noch heute beschleicht mich ein unangenehmes Gefühl, wenn ich an Kaubonbons denke. Mein Versprechen an Alfons, ihn später einmal hundertfach für seine Gutherzigkeit zu entlohnen, habe ich zu seinen Lebzeiten übrigens nie eingelöst. Aber, das ist eine andere Geschichte.


(geschrieben am 31.12.2018)

 
   
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