Daunen und Bambus
(von Josef Festing)
Meine Frau und ich sind nun schon seit mehr als 38 Jahren verheiratet, aber es ist mir in all den Jahren nicht gelungen, ihr eine Marotte abzugewöhnen, die mein Ordnungsempfinden zuweilen arg strapaziert, kurz gesagt, mir gehörig auf den Geist geht. Sie benutzt alte Briefumschläge, um sich Notizen darauf zu machen. Dies an sich wäre ja nicht zu bemängeln, jedoch handelt es sich oft um Briefpost, die nicht mit der gebotenen Sorgfalt geöffnet wurde und mitunter mehr Fransen aufweist als eine ausrangierte Unterhose. Doch damit nicht genug, diese wie von einem Dickmaulrüssler angenagten und zudem oft unsauber bekritzelten Papierfetzen, auf denen meine Frau, wie sie allzeit beteuert, wichtige Informationen, Telefonnummern oder Arzttermine notiert hat, liegen dann manchmal wochenlang auf unserem Wohnzimmertisch herum. Und wenn ich dann gelegentlich frage, ob das jetzt endlich mal weg kann, bekomme ich stets Antworten wie: „Um Himmels Willen, das brauche ich noch,“ oder „Bloß nicht, der Termin ist doch erst in zwei Monaten!“ Nun muss ich gestehen, dass mein Ordnungssinn schon ein wenig ausgeprägt ist und mir der Anblick von solchen Schmierzetteln nahezu körperliche Schmerzen verursacht. Umso größer waren in der Vergangenheit daher meine Bemühungen, Ute davon zu überzeugen, die eigens dafür angeschafften und an diversen Orten positionierten Notizblöcke für ihre Aufzeichnungen zu benutzen. Mit guten Worten habe ich es versucht. Angebote habe ich ihr gemacht, die sie eigentlich nicht hätte ablehnen können. Alles erfolglos! Alte, ausrangierte Briefumschläge scheinen eine magische Anziehungskraft auf meine Frau auszuüben. Es kommt mir manchmal so vor, als ginge sie lieber zur Altpapierkiste, um sich dort einen alten Briefumschlag herauszufischen, als die auf dem Wohnzimmertisch stehende Box mit den Notizzetteln zu benutzen. Was soll’s, es gibt Schlimmeres! - In der Tat gibt es das, wie folgende Schilderung eindrucksvoll belegt:
„Guter Schlaf ist sooo wichtig!“ Diesem bekannten Werbeslogan würde wohl kaum jemand widersprechen. Mit zunehmendem Alter spielt dieses Thema auch für Ute und mich eine immer wichtigere Rolle. Neben einer hochwertigen Matratze haben wir bei unserer Schlafzimmerausstattung in den letzten Jahren immer auch auf eine jahreszeitlich angemessene Auswahl des Bettzeugs geachtet. Um in der Nacht im Bett weder zu frieren noch zu schwitzen, ist es wichtig, stets die geeignete Bettdecke zu benutzen. So verfügen wir z. B. über dicke Winterbettdecken, dünne Winterbettdecken, Bettdecken für den Übergang sowie verschiedene Sommerbettdecken, die wir je nach Außentemperatur aufziehen. Aufbewahrt werden sie im Keller unter einer großen blauen Tagesdecke, jeweils einzeln in Plastiksäcken verstaut und entsprechend beschriftet. - Es war Anfang Juni, als Ute mir eines Morgens nach dem Aufwachen eröffnete, dass es ihr in der Nacht zu warm gewesen und es nun wohl wieder an der Zeit sei, die Bettdecken zu wechseln. Ich solle doch nach dem Frühstück bitte schnell mal in den Keller gehen, um die dünnen Sommerbetten hochzuholen, die aus Bambus wohlgemerkt. Wie mir geheißen, ging ich also in den Keller und schlug die blaue Tagesdecke zur Seite. Ich brauchte eine Weile, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Es lagen dort etwa 15 Plastiksäcke übereinander gestapelt, in denen sich die verschiedenartigen Bettdecken befanden. Der Umstand, dass darunter auch noch Säcke von unseren Kindern waren, machte das Ganze nicht unbedingt leichter für mich. Ein System war nicht zu erkennen; es lag alles quer durcheinander. Zum Glück waren die Plastiksäcke ja beschriftet. Ute hatte an jedem der Säcke einen Zettel befestigt, auf dem handschriftlich der Name des Besitzers sowie die Art der Bettdecke notiert war. Ich griff mir also den erstbesten Sack, der gewichtsmäßig und vom Volumen her am ehesten dem einer dünnen Sommerdecke entsprach und schaute auf die Beschriftung. Ute, Winterbett, dick war darauf zu lesen. Bei näherem Hinsehen erkannte ich jedoch, dass dies durchgestrichen und mit einem Pfeil versehen war, der auf die Rückseite des Zettels verwies. Dort stand mit Kugelschreibertinte mehrfach umkringelt Josef, Übergang, halbschwer, Daunen. Leicht genervt murmelte ich etwas Unflätiges vor mich hin. Ich schnappte mir also einen weiteren Sack, von dem ich annahm, dass er eine der von mir gesuchten Bettdecken enthielt. Josef, dünnes Winterbett, Daunen, gesteppt lautete hier die wiederum durchgestrichene Beschriftung. Darunter waren mit Bleistift die Worte Sommerbett Rebekka, Federn vermerkt. Meine Halsadern schwollen merklich an. Nach zig weiteren erfolglosen Versuchen war ich schließlich wieder bei meinem ersten Sack angekommen. Inzwischen fielen meine Flüche etwas derber aus und beinhalteten Ausdrücke, die im Block 9 gelegentlich von den Ultras beim Abstoß des gegnerischen Torwarts verwendet werden. Ich beschloss, den Sack zu öffnen und mich des Inhalts persönlich zu vergewissern. Wie ich sogleich feststellte, befanden sich zwei dünne Bettdecken darin. Ich zog eine heraus, um sie mir genauer anzusehen. Beim Entfalten derselben fiel ein Stück Papier auf den Boden. Ich hob es auf und bemerkte, dass es sich um einen alten ausgefransten Briefumschlag handelte. Ungläubig las ich die darauf gekritzelten Worte: Josef und Ute, dünne Sommerbetten, Bambus. Ein Schrei der Erleichterung durchflutete die Kellerräume. Noch nie hatte ein alter Briefumschlag solche Glücksgefühle in mir ausgelöst. Und wessen Handschrift war das mal wieder? Ich war fassungslos, es war meine!
(geschrieben am 01.07.2021)